Takeoff | MALLORCA

Unterwegs sein fühlt sich an wie frisch verliebt sein: eine Mischung aus Sehnsucht, Neugier und Vorfreude. Die schönsten Fragen rund ums Reisen sind die, die kein Baedecker, kein Polyglott, kein Marco-Polo-Guide beantworten kann – auch deshalb weil jeder am selben Ort für sich völlig unterschiedliche Antworten darauf finden würde. Und weil manche davon nicht ausgesprochen werden. Man muss sie spüren. Irgendwo tief im eigenen Inneren. Fragen beflügeln die Fantasie, entfachen die Reiselust, entfesseln die Neugierde auf das Fremde, das Andere, das Besondere. Jedes Mal wieder. Der Versuch, sie zu beantworten, bringt uns oft den Menschen nah, die anderswo zu Hause sind.

Ich reise immer wieder nach Mallorca, weil ich auf der Suche nach ihrem Geheimnis bin. Das nicht in einem Reiseführer enträtselt wird, weil es etwas Lebendiges ist, das sich laufend neu inszeniert. Sich heute im Lächeln der Menschen zeigt und morgen im besonderen Licht auf den Dächern der alten Kirchen. Und es sind die kleinen Momente menschlicher Nähe. Flüchtige und alltägliche Momente vielleicht, die mir aber etwas über die Kraft und die Bedeutung von Nähe verraten.

Mallorca verleiht mir das Gefühl, die Zeit berühren zu können, als würde sie in den Häusern und Mauern, den Weiden und uralten Bäumen greifbar. Alt und Neu in harmonischem Nebeneinander, in einem fließenden Übergang, der die Zeit sichtbar macht. Vieles ist unberührt geblieben. Trotz Millionen Besucher ist keineswegs jedes Biotop in ein Baugrundstück umgewandelt worden – es gibt immer noch Landschaften, die von Menschen nur selten frequentiert werden..

Der Mallorquinische Baustil, klar und schlicht, folgte stets dem Zweck und trotzte allen Trends. Der Stil der Stille. Die alten Bauernhäuser schmiegen sich in Mulden, kleben an Hängen oder krönen Hügelkuppen. Ihre kantigen und geraden Formen geben der wilden Landschaft Halt. Eine Architektur, die sich ihre Reinheit bewahrt und sich des einfach Schönen besinnt. Die vielen Kirchen, Museen und Klöster der Insel erzählen von Glaube und Hoffnung, Bauern und Königen, Krieg und Kunst und vom einst so harten Alltag der Mallorquiner. Jedes einzelne ist ein winziges Kapitel aus einer großen Geschichte.

Mallorca ist für mich beides: entdecken und vergessen. Ich lasse mir von den Geheimnissen erzählen, die hinter steinalten Mauern zu entdecken sind, folge kleinen uneinsichtigen Feldwegen, werfe einen Blick in jedes geöffnete Tor, entdecke stille Innenhöfe, steige zu einsamen Buchten hinab, schwimme in türkisfarbenem Wasser, sehe Sonnenuntergänge und eine atemberaubende Bergkulisse. An abgelegenen Plätzen verschwindet der Rest der Welt wahrhaftig und nachdrücklich - Mein Leben hat eine Atempause.

Maria Rohner